Zugang zu non- und minimalverbalen autistischen Kindern finden – Ein Interview mit Sonderpädagogin Sarah Weber

Hallo Sarah! Bei TherAkademie bietest du eine Fortbildung für Logopäd*innen und Sprachtherapeut*innen dazu an, wie man als Therapeut*in Zugang zu non- und minimalverbalen autistischen Kindern findet. Was ist deiner Erfahrung nach der häufigste Fehler, der im Umgang mit autistischen Kindern gemacht wird?

Hey Dani, ja, ich freue mich sehr über die Möglichkeit, dieses wichtige Thema bei dir aufgreifen zu dürfen! Der häufigste Fehler ist meiner Ansicht nach, dass sehr schnell und sehr viel versucht wird, die Initiative in der Interaktion zu übernehmen, wenn das Kind nicht oder nicht sofort verbal oder eindeutig mimisch/gestisch reagiert. Es werden sehr viele Angebote ausgewählt, die die Therapeutin oder der Therapeut sinnvoll findet - diese werden dem Kind dann angeboten und es wird versucht, das Kind mit den eigenen Ideen in eine Interaktion zu verwickeln. “Guck mal was ich hier habe, ein Auto, brumm brumm” - aber das Kind ist gerade damit beschäftigt, die Ecke eines Sitzsackes ausführlich zu kneten und zu untersuchen. Hier wäre es deutlich sinnvoller, dem Interesse des Kindes zu folgen und erstmal weniger mit eigenen Angeboten in die Interaktion zu gehen. Was macht dieses Kind? Wo liegt sein Interesse? Was begeistert es? Was bringt es zum lachen? Welche Äußerungen tätigt es und wie kann ich diese aufgreifen? Hier braucht es oft unkonventionelle Wege für den Vertrauensaufbau: Miteinander lautierend hin-und herlaufen, gemeinsam Hände flattern, Echolalien wiederholen und bestätigen… wenn man sonst nicht viel mit autistischen Kindern arbeitet, kommt einem das vielleicht ein wenig seltsam vor ;) 


Außerdem werden meiner Erfahrung nach sehr häufig zu viele Fragen gestellt, die sprachlich sehr schwer zu verarbeiten sind und die Kinder nicht selten in einen “Antwortdruck” versetzen, der sie zusätzlich zur Sprachproblematik in der Interaktion hemmt. “Ich hole jetzt mal ein Puzzle, okay?” “Möchtest du nochmal rutschen” - Besser ist es hier, zu informieren und zu kommentieren, in kurzen, betonten Sätzen: “Ich hole ein PUZZLE!” “Nochmaaal rutschen!”. Insbesondere die Intonation und authentische Begeisterung in der Stimme empfinde ich hier als entscheidend. 


Wenn du ein autistisches Kind zum ersten Mal triffst, worauf achtest du, um eine gute Vertrauensgrundlage zu schaffen?

Ich lächle und lache viel, zeige eine offene Mimik und Körperhaltung, beobachte das Kind erstmal sehr viel. Viele non- und minimalverbale Kinder ignorieren die Therapeutin/Förderkraft im Erstkontakt, das ist erstmal nicht ungewöhnlich - die vielen tollen Gegenstände und Spielzeuge sind einfach interessanter. Also ist es mein Ziel, mich interessanter zu machen :) Ich steige in die Aktivitäten oder Äußerungen des Kindes mit ein. Je nachdem, wie es darauf reagiert, intensiviere ich das oder ziehe mich erstmal freundlich etwas zurück und wiederhole das Ganze aus der Ferne. Wichtig ist, Sicherheit auszustrahlen und absolut ungefährlich zu wirken. Viele autistische Kinder machen die Erfahrung, dass Menschen unvorhersehbar sind und ihre sensiblen Grenzen überschreiten. Das möchte man im Erstkontakt unbedingt vermeiden. 



Was sollte Person wissen, die mit autistischen Kindern zusammenarbeitet?

Jedes Kind im Spektrum ist anders. Lehrbuchwissen und Fortbildungen sind hilfreich, aber nichts ersetzt die gesunde Intuition - vertraue ihr. Und setze Beziehungsaufbau und Sicherheit an erste Stelle. Solche Stunden sollten ein “Safe Space” für Kinder sein - ein Ort, an dem sie einfach sein können, unbelastet, gesehen. Damit erreicht man meiner Ansicht nach am meisten.


Du hast einen Wunsch frei, was sich im deutschen Gesundheitswesen ändern soll. Was wäre das?

Oh, da gäbe es viel. Aber speziell auf meinen Bereich bezogen würde ich mir wünschen, dass die Diagnostik etwas differenzierter wäre und Fachpersonal den Eltern mehr Glauben schenken würde. Außerdem wäre es toll, wenn Beratungs- und Schulungsleistungen nicht aus eigener Tasche finanziert, sondern über die Krankenkasse oder die Eingliederungshilfe abrechenbar wären. So viele Eltern werden nach der Diagnose des Kindes einfach allein gelassen und bräuchten eigentlich einen guten Leitfaden, was sie jetzt tun sollen. Hier sollten viel mehr kostenfreie Hilfsangebote bereitgestellt werden. Außerdem sollte die “Autismustherapie” nicht immer bloß für maximal ein paar Jahre am Stück, sondern so lange wie eben nötig refinanziert werden. Der Bedarf an Begleitung verschwindet ja meist nicht nach einiger Zeit und ein Beziehungsabbruch tut nicht gut. 


Vielen Dank für das Interview, liebe Sarah!

Sehr gerne liebe Dani! Ich freue mich schon sehr auf das Webinar!


Sarah Weber ist studierte Sonderpädagogin und Fachkraft für Unterstützte Kommunikation. Sie arbeitet seit über sieben Jahren therapeutisch, begleitend und beratend mit Kindern im Autismus-Spektrum mit Spezialisierung auf non- und minimalverbale Kinder und Jugendliche. Hier findest du ihre nächste Fortbildung bei TherAkademie. Mehr zu Sarahs Arbeit und ihren Angeboten findest du hier.

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